Donnerstag, 24. März 2011

Gedanken über der Zeit - Paul Fleming

Barockgedichte haben meist so eine lüsterne Morbidität, dieses eher nicht, eher ein Wort- und Gedankenpuzzle. Erstaunlich klar und modern.

Gedanken über der Zeit
 
Ihr lebet in der Zeit und kennt doch keine Zeit;
so wißt, ihr Menschen, nicht von und in was ihr seid.
Diß wißt ihr, daß ihr seid in einer Zeit geboren
und daß ihr werdet auch in einer Zeit verloren.
Was aber war die Zeit, die euch in sich gebracht?
Und was wird diese sein, die euch zu nichts mehr macht?
Die Zeit ist was und nichts, der Mensch in gleichem Falle,
doch was dasselbe was und nichts sei, zweifeln alle.
Die Zeit, die stirbt in sich und zeugt sich auch aus sich.
Diß kömmt aus mir und dir, von dem du bist und ich.
Der Mensch ist in der Zeit; sie ist in ihm ingleichen,
doch aber muß der Mensch, wenn sie noch bleibet, weichen.
Die Zeit ist, was ihr seid, und ihr seid, was die Zeit,
nur daß ihr wenger noch, als was die Zeit ist, seid.
Ach daß doch jene Zeit, die ohne Zeit ist, käme
und uns aus dieser Zeit in ihre Zeiten nähme,
und aus uns selbsten uns, daß wir gleich könten sein,
wie der itzt jener Zeit, die keine Zeit geht ein!

Paul Fleming 1609-1640

Hübsch war er nicht! Seine Liebste hat einen anderen geheiratet, da hat er sich mit deren Schwester vermählt. Und noch eins:

An sich

Sei dennoch unverzagt! Gib dennoch unverloren!

Weich keinem Glücke nicht, steh höher als der Neid,
Vergnüge dich an dir, und acht es für kein Leid,
Hat sich gleich wider dich Glück, Ort und Zeit verschworen.

Was dich betrübt und labt, halt alles für erkoren,

Nimm dein Verhängnis an, lass alles unbereut.
Tu, was getan sein muss, und eh man dirs gebeut.
Was du noch hoffen kannst das wird noch stets geboren.

Was klagt, was lobt man doch? Sein Unglück und sein Glücke

Ist sich ein jeder selbst. Schau alle Sachen an:
Dies alles ist in dir. Lass deinen eitlen Wahn,

Und eh du fürder gehst, so geh in dich zurücke.

Wer sein selbst Meister ist, und sich beherrschen kann,
Dem ist die weite Welt und alles untertan.

3 Kommentare:

  1. Danke, denn Paul Fleming war bis eben nur ein Name ohne Anschluss in meinem Kopf.
    Die Gedankenspiele um die ZEIT sind Gedanken anstiftend. Helle und dunkle.
    Das Wort ZEIT, still gelesen, erzeugt in der Häufung eine gute Unruhe. Schade, dass es gesprochen mit den vielen Zetts, immer unangenehmer klingt. (Schauspieleraufgabe ?)
    AN SICH dagegen wirkt auf mich wie halt an sich, wie eine Anhäufung moralisierender Einträge ins Poesiealbum.

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  2. Das Ding ist doch der Hammer, so viel Angst! Hihii!

    Denn lieben ist nichts mehr / als eine schifferey /
    Das schiff ist unser hertz / den seilen kommen bey
    Die sinn=verwirrungen. Das meer ist unser leben /
    Die liebes=wellen sind die angst / in der wir schweben /
    Die segel / wo hinein bläst der begierden wind /
    Ist der gedancken tuch. Verlangen / hoffnung sind
    Die ancker. Der magnet ist schönheit. Unser strudel
    Sind Bathseben. Der weun und überfluß die rudel.
    Der stern / nach welchem man die steiffen seegel lenckt /
    Ist ein benelckter mund. Der port / wohin man denckt /
    Ist eine schöne Frau. Die ufer sind die brüste.
    Die anfahrt ist ein kuß. Der zielzweck /süsse lüste.
    Wird aber hier umwölckt / durch blinder brünste rauch /
    Die sonne der vernunfft / so folgt der schiffbruch auch /
    Der seelen untergang / und der verderb des leibes:
    Denn beyde tödtet uns der lustbrauch eines weibes.

    Daniel Casper von Lohenstein

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