Donnerstag, 3. März 2011

Heimat? - Matthias Claudius

Immer noch zum Thema "Heimat". Warum ist dieses Lied für mich, die ich wahrlich keine Christin und nicht einmal eine grosse Naturliebhaberin bin, so sehr wie Heimat (ein Wort dass ich bisher übrigens selten benutzt habe)? Wie ein Pawlowscher Hund auf bestimmte Reizungen hin speichelt, bekomme ich beim Anhören dieses Liedes sofort Tränen in die Augen. Inhaltlich hätte ich mehr als eine Frage zum Text, das ist es nicht. Aber der Klang und der weiche Rhythmus und die einzelnen Wörter und manche Formulierung und ????? Tja, verflixt, ich habe keine Antwort. Und als ich in Toronto nach der zweihundertsten Bemerkung über die Harschheit der deutschen Sprache den Hals voll hatte und einen deutsche Gedichteabend organisierte, war dieses Gedicht das erste auf meiner Liste.

Abendlied

Der Mond ist aufgegangen,
die goldnen Sternlein prangen
am Himmel hell und klar;
der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget
der weiße Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille
und in der Dämmrung Hülle
so traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
wo ihr des Tages Jammer
verschlafen und vergessen sollt.

Sehr ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen
und ist doch rund und schön.
So sind wohl manche Sachen,
die wir getrost belachen,
weil unsre Augen sie nicht sehn.

Wir stolze Menschenkinder
sind eitel arme Sünder
und wissen gar nicht viel;
wir spinnen Luftgespinste
und suchen viele Künste
und kommen weiter von dem Ziel.

Gott, laß uns Dein Heil schauen,
auf nichts Vergänglichs trauen,
nicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden
und vor Dir hier auf Erden
wie Kinder fromm und fröhlich sein!

Wollst endlich sonder Grämen
aus dieser Welt uns nehmen
durch einen sanften Tod,
und wenn Du uns genommen,
laß uns in Himmel kommen,
Du, unser Herr und unser Gott!

So legt euch denn, ihr Brüder,
in Gottes Namen nieder!
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott, mit Strafen;
und laß uns ruhig schlafen
d unsern kranken Nachbar auch!
Matthias Claudius 1771



Das folgende ist wohl die Vorlage für Claudius gewesen:

O Welt ich muß dich lassen.

1.
Nun ruhen alle Wälder,
Vieh, Menschen, Städt und Felder,
Es schläfft die gantze Welt:
Ihr aber meine Sinnen
Auf, auf ihr solt beginnen,
Was eurem Schöpffer wolgefällt.
2.
Wo bist du Sonne blieben?
Die Nacht hat dich vertrieben,
Die Nacht des Tages Feind:
Fahr hin, ein andre Sonne
Mein Jesus, meine Wonne,
Gar hell in meinem Hertzen scheint.
3.
Der Tag ist nun vergangen:
Die güldnen Sternlein prangen
Am blauen Himmels-Saal
So, so werd ich auch stehen,
Wann mich wird heissen gehen
Mein Gott aus diesem Jammerthal.
4.
Der Leib, der eilt zur Ruhe
Legt ab das Kleid und Schuhe
Das Bild der Sterbligkeit:
Die zieh ich aus dargegen
wird Christus mir an legen
Den Rock der Ehr und Herrligkeit.
5.
Das Häupt die Füß und Hände,
Sind froh daß nun zum Ende
Die Arbeit kommen sey:
Hertz, freu dich: du solst werden
Vom Elend dieser Erden
Und von der Sünden Arbeit frey.
6.
Nun geht ihr matten Glieder,
Geht, geht und legt euch nieder,
Der Betten ihr begehrt:
Es kommen Stund und Zeiten,
Da man euch wird bereiten
Zur Ruh ein Bettlein in der Erd.
7.
Mein Augen stehn verdrossen,
Im huy sind sie verschlossen,
Wo bleibt denn Leib und Seel?
Nim sie zu deinen Gnaden,
Sey gut vor allen Schaden,
Du Aug und Wächter Israel.
8.
Breit aus die Flügel beide,
O Jesu meine Freude,
Und nim dein Küchlein ein:
Will Satan mich verschlingen,
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So laß die Englein singen
Diß Kind sol unverletzet seyn.
9.
Auch euch ihr meine Lieben
Sol heute nicht betrüben
Kein Unfall noch Gefahr:
Gott laß euch ruhig schlaffen
Stell euch die güldnen Waffen
Umbs Bett, und seiner Helden Schaar.
Paul Gerhardt 1653

Die schöne Melodie zu diesem Lied ist erborgt; ursprünglich wurde sie zu dem weltlichen Liede: "Insbruck ich muß dich lassen" von Heinrich Isaac, um 1500 komponiert

1 Kommentar:

  1. Michael Dressel wrote: "Ist einfach nur einer von diesen schwammigen ,schlecht definierbaren Begriffen. Aber schoen als Knochen zum Dran rumbeissen um seine eigenen Positionen naeher zu analysieren. Fuer mich ist der Begriff zu diffus um irgendwelche Einsichten zu bringen. Das schoene alte Lied vom Mond bringt allerdings einige Caspar David Friedrich Bilder vor mein inneres Auge. Das ist immer gut."

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