Samstag, 6. August 2011

Andre Breton und Simone Kahn - Nein, nicht die Fußballtussi!


Man Ray Photographie: Simone Kahn mit einer Skulptur aus Vanuatu
 
Die freie Vereinigung

Meine Frau ihre Haare ein Holzfeuer
Mit Gedanken wie Wärmeblitze
Mit der Sanduhrtaille
Meine Frau mit der Taille des Fischotters zwischen den Zähnen des Tigers
Meine Frau mit dem Mund wie eine Kokarde wie ein Strauß aus Sternen letzter Größe
Mit Zähnen wie Spuren einer weißen Maus auf der weißen Erde
Mit der Zunge aus geriebenem Ambra und Glas
Meine Frau mit der Zunge wie eine erdolchte Hostie
Mit der Zunge einer Puppe die ihre Augen öffnet und schließt
Mit der Zunge aus unerhörtem Stein
Meine Frau mit Wimpern wie Striche der Kinderschrift
Mit Brauen wie der Rand des Schwalbennestes
Meine Frau mit Schläfen aus dem Schiefer des Treibhausdachs
Und von Beschlag an den Scheiben
Meine Frau mit Champagnerschultern
Und Schultern wie eisbedeckte Brunnen mit Delphinköpfen
Meine Frau mit Handgelenken wie Streichhölzer
Meine Frau mit Zufalls- und Herz-As-Fingern
Mit Fingern aus gemähtem Heu
Meine Frau mit Achselhöhlen wie Marder und Bucheckern
Der Johannisnacht
Wie Liguster und Nester der Purpurschnecke
Mit Armen wie Schaum vom Meer und von der Schleuse
Wie eine Mischung von Korn und Mühle
Meine Frau mit Beinen wie Uhrspindeln
Mit Bewegungen des Uhrwerks und der Verzweiflung
Meine Frau mit Waden aus Holundermark
Meine Frau mit Füßen wie Initialen
Mit Füßen wie Schlüsselbunde mit Füßen trinkender Kalfaterer
Meine Frau mit dem Hals aus halbgeschälter Gerste
Meine Frau mit der Kehle des Val d'or
Des Rendezvous im Bett des Sturzbachs
Mit Nachtbrüsten
Meine Frau mit Brüsten wie Maulwurfshügel im Meer
Meine Frau mit Brüsten wie Schmelztiegel für Rubine
Mit Brüsten des Rosenspektrums unter dem Tau
Meine Frau mit dem Bauch wie Entfalten des Fächers der Tage
Mit dem Bauch der Riesenkralle
Meine Frau mit dem Rücken wie ein Vogel der senkrecht flieht
Mit dem Quecksilberrücken
Mit dem Lichtrücken
Mit dem Nacken wie gerollter Stein und feuchte Kreide
Und dem Fall eines Glases von dem man gerade getrunken hat
Meine Frau mit Nachenhüften
Mit Hüften aus Leuchtern und Pfeilfedern
Und Federschäften des weißen Pfauen
Der unbeweglichen Waage
Meine Frau mit dem Sandstein- und Asbesthintern
Meine Frau mit dem Hintern wie ein Schwanenrücken
Meine Frau mit dem Frühlingshintern
Mit Gladiolengeschlecht
Meine Frau mit dem Geschlecht wie ein Goldlager und ein Schnabeltier
Meine Frau mit dem Algengeschlecht dem Geschlecht wie altertümliche Bonbons
Meine Frau mit Spiegelgeschlecht
Meine Frau mit Augen voll Tränen
Mit Augen wie eine violette Rüstung mit Magnetnadelaugen
Meine Frau mit Savannenaugen
Meine Frau mit Augen aus dem Trinkwasser in Gefängniszellen
Meine Frau mit Augen wie Holz das immer unter der Axt ist
Mit Augen wie Wasserwaagen Luftwaagen Erd- und Feuerwaagen


Andre Breton mit seiner Frau Simone Kahn
Breton liest das Gedicht: http://www.youtube.com/watch?v=0HTX4_KkhWk

L'Union libre

Ma femme á la chevelure de feu de bois
Aux pensées d'éclairs de chaleur
A la taille de sablier
Ma femme á la taille de loutre entre les dents du tigre
Ma femme á la bouche de cocarde et de bouquet d'étoiles de dernière grandeur
Aux dents d'empreintes de souris blanche sur la terre blanche
A la langue d'ambre et de verre frottés
Ma femme á la langue d'hostie poignardée
A la langue de poupée qui ouvre et ferme les yeux
A la langue de pierre incroyable
Ma femme aux cils de bátons d'écriture d'enfant
Aux sourcils de bord de nid d'hirondelle
Ma femme aux tempes d'ardoise de toit de serre
Et de buée aux vitres
Ma femme aux épaules de champagne
Et de fontaine à têtes de dauphins sous la glace
Ma femme aux poignets d'allumettes
Ma femme aux doigts de hasard et d'as de coeur
Aux doigts de foin coupé
Ma femme aux aisselles de martre et de fênes
De nuit de la Saint-Jean
De troène et de nid de scalares
Aux bras d'écume de mer et d'écluse
Et de mélange du blé et du moulin
Ma femme aux jambes de fusée
Aux mouvements d'horlogerie et de désespoir
Ma femme aux mollets de moelle de sureau
Ma femme aux pieds d'initiales
Aux pieds de trousseaux de clés aux pieds de calfats qui boivent
Ma femme au cou d'orge imperlé
Ma femme á la gorge de Val d'or
De rendez-vous dans le lit même du torrent
Aux seins de nuit
Ma femme aux seins de taupinière marine
Ma femme aux seins de creuset du rubis
Aux seins de spectre de la rose sous la rosée
Ma femme au ventre de dépliement d'éventail des jours
Au ventre de griffe géante
Ma femme au dos d'oiseau qui fuit vertical
Au dos de vif-argent
Au dos de lumière
A la nuque de pierre roulée et de craie mouillée
Et de chute d'un verre dans lequel on vient de boire
Ma femme aux hanches de nacelle
Aux hanches de lustre et de pennes de flèche
Et de tiges de plumes de paon blanc
De balance insensible
Ma femme aux fesses de grès et d'amiante
Ma femme aux fesses de dos de cygne
Ma femme aux fesses de printemps
Au sexe de glaïeul
Ma femme au sexe de placer et d'ornithorynque
Ma femme au sexe d'algue et de bonbons anciens
Ma femme au sexe de miroir
Ma femme aux yeux pleins de larmes
Aux yeux de panoplie violette et d'aiguille aimantée
Ma femme aux yeux de savane
Ma femme aux yeux d'eau pour boire en prison
Ma femme aux yeux de bois toujours sous la hache
Aux yeux de niveau d'eau de niveau d'air de terre et de feu 

Andre Breton 1931
"Der auserlesene Leichnam" Gesellschaftsspiel und kreatives Experiment der Surrealisten

Beim "Auserlesenen Leichnam zeichnet jeder Teilnehmer den ihnen zugefallenen Teil des Körpers auf ein Blatt Papier, faltet dann das Papier, um seinen Teil der Zeichnung zu verbergen, und gibt es an den nächsten "Mitspieler" weiter. Am Ende wird das Papier entfaltet und der "Auserlesene Leichnam" sichtbar.
Die Surrealisten nutzten solche Gesellschaftsspiele, um ihre unbewussten künstlerischen Automatismen zu trainieren.
Breton schrieb: " In der Tat, was uns an diesen Arbeiten erregt hat, war die Gewissheit, dass sie, ob gut oder schlecht, das Zeichen trugen von etwas, dass nicht von einem einzelnen Gehirn hätte hervorgebracht werden können und das sie einen größeren Freiraum boten, was, bei Poesie, nicht hoch genug zu schätzen ist."



Cadavre exquis 1927

"Die 1897 geborene Simone Kahn wuchs als Tochter einer wohlhabenden Industriellenfamilie in Paris auf. Nach der Schule widmete sie sich einem Literaturstudium, um auf diesem Weg im Quartier Latin, dem Pariser Studenten- und Künstlerviertel,  „das wahre Leben“ kennenzulernen. In der Buchhandlung „La maison des amis des livres“, begegnete Simone Kahn 1919 erstmals André Breton, der mit Louis Aragon und Philippe Soupault die Zeitschrift „Littérature“ herausgab.
Auf einer Dada-Lesung Bretons funkte es. Die aus bürgerlichem Hause stammende Kahn träumte von einem aufregenderen Leben fernab von „Handarbeit und Hausmusik“ und war fasziniert vom Aufbruchswillen Bretons. Durch die Liason mit Breton gehörte Simone Kahn schlagartig zum Kreis der Künstler und Intellektuellen, die sie zuvor bewundert hatte.
Die Hochzeit folgte im September 1921. Das Zuhause der Bretons am Montmartre wurde fortan zum Zentrum der Zusammenkünfte mit Künstlerfreunden. Doch die Rolle als „Frau des Papstes“ konnte Simone Breton kaum genießen. Obwohl sie mitten im Geschehen war, gehörte sie nicht dazu und für ihren Mann, den leidenschaftlichen Künstler, stand seine Arbeit immer an erster Stelle. Der junge Literat Max Morise umgarnte die vernachlässigte Künstlergattin, begann eine heimliche Affäre mit ihr. Doch Simone fühlte sich auch in der Rolle der Geliebten nicht wohl und hatte bald genug von Max. Das Büro für surrealistische Forschungen öffnete im Oktober 1924 in der Pariser Rue Grenelle, wo Simone die einzige Mitarbeiterin im Kreis der Surrealisten war. Doch Simone wurde für André immer mehr zur „Arbeitskollegin“, die seine zahlreichen Seitensprünge dulden musste.
André Bretons Vorstellung von der leidenschaftlichen und kompromisslosen Liebe war für ihn wichtiger als die Person, mit der er diese teilte. Die surreale Begegnung auf dem Pariser Boulevard mit einer jungen Frau namens Nadja inspirierte ihn zum gleichnamigen Roman, mit Suzanne brannte er für Monate durch und erbat sich in Telegrammen an seine Frau „die Gnade einiger Ausnahmen“ für das gemeinsame Eheleben. 1929 erfolgte schließlich auf Wunsch Andrés die Scheidung.



Simone Breton musste wegen ihrer jüdischen Wurzeln untertauchen, als die Nazis in Paris einmarschierten. 1938 heiratete sie den politisch engagierten Intellektuellen Michel Collinet, den sie tatkräftig unterstützte und kehrte nach Kriegsende nach Paris zurück. 1948 kaufte sie eine Galerie und widmete sich Ausstellungen, mit der Unterstützung früherer Kontakte aus der Künstlerszene wie den inzwischen etablierten Malern Max Ernst und Salvador Dalì. Simone Breton schloss sich der Frauenbewegung „Féministes Révolutionnaires“ um Simone de Beauvoir an und unterzeichnete 1971 die berühmte Streitschrift für das Recht auf Abtreibung. 1980 starb sie im Alter von 83 Jahren." Amelie Persson




Unda Hörner „Die realen Frauen der Surrealisten“, Suhrkamp, 1998, 202 Seiten, ISBN: 978-3-518-39316-1



 

1 Kommentar:

  1. "...mit Augen wie Holz, das immer unter der Axt ist..."
    Ein starkes Bild. Hörigkeit in Auflehnung.

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