Sonntag, 6. November 2011

Tucholsky - Zille - Berlin - Sex

 

 Ach lege Deine Wange
 
Wenn ich mal wütend bin
Auf meinen Theo
Und er mir Szenen macht,
Weil ich mit Leo,
Wenn er dann "Dirne" schreit
Und wer weiß was spricht,
Wenn er mich gar bespeit,
Weil er so naß spricht,

Dann zürn' ich nicht,
Dann zank' ich nicht,
Dann schrei' ich nicht,
Dann schelt' ich nicht,
Dann bin ich liebenswürdig,
Liebenswürdig,
Liebenswürdig, liebenswürdig,
Ich hab' Kultur
Und ich sage nur:

"Ach, lege Deine Wange
Doch mal an meine Wange
Und bleibe da recht lange
Mit Deiner Wange,
Du süßer Herzens-Clown!
Ich kann Dir stundenlang,
Stundenlang, stundenlang,
In die Augen schau'n,
Ja, stundenlang.
   Tritt mir im Omnibus
Wer auf die Beine,
Wenn ich mal rausgehn muß
Und da ist schon eine,
Sitz' ich am Steuerrad --
Gott soll bewahren! --
Und schreit der Schupo "Wat?
Sie könn'n nicht fahren?"

Dann zürn' ich nicht,
Dann zank' ich nicht,
Dann schrei' ich nicht,
Dann schelt' ich nicht,
Dann bin ich liebenswürdig,
Liebenswürdig,
Liebenswürdig, liebenswürdig,
Ich hab' Kultur
Und ich sage nur:

"Ach, lege Deine Wange
Doch mal an meine Wange
Und bleibe da recht lange
Mit Deiner Wange,
Du süßer Herzens-Clown!
Ich kann Dir stundenlang,
Stundenlang, stundenlang,
In die - Schnauze hau'n,
Ja, stundenlang!
 
Kurt Tucholsky 
 
H. Zille Ringkampf in der Schaubude, 1903 

Heinrich Zille


Zweeter Uffjang, vierta Hof
wohnen deine Leute;
Kinder quieken: »Na, so doof!«
jestern, morjn, heute.
Liebe, Krach, Jeburt und Schiß ...
Du hast jesacht, wies is.

Kleene Jöhren mit Pipi
un vabogne Fieße;
Tanz mit durchjedrickte Knie,
er sacht: »Meine Sieße!«
Stank und Stunk, berliner Schmiß ...
Du hast jesacht, wies is.

Jrimmich wahste eijntlich nich –
mal traurich un mal munta.
Dir war det jahnich lächalich:
»Mutta, schmeiß Stulle runta –!«
Leierkastenmelodien ...
Menschen in Berlin.

Int Alter beinah ein Schenie –
Dein Bleistift; na, von wejn ... !
Janz richtich vastandn ham se dir nie –
die lachtn so übalejn.
Die fanden dir riehrend un komisch zujleich.
Im übrijen: Hoch det Deutsche Reich!

Malen kannste.
Zeichnen kannste.
Witze machen sollste.
Aba Ernst machen dürfste nich.
Du kennst den janzen Kleista –
den ihr Schicksal: Stirb oda friß!
Du wahst ein jroßa Meista.
Du hast jesacht, wies is.


Theobald Tiger
Die Weltbühne, 03.09.1929


Heinrich Zille 
Hurengespräche


Der Zyklus Hurengespräche erschien 1913 als Privatdruck des Verlags Fritz Gurlitt unter   dem Pseudonym W. Pfeifer und wurde von der preußisch-kaiserlichen Zensur auf der Stelle verboten.

„Hätt’n wir nich so dreckig jewohnt un’ wär’n nicht so arm gewesen, dann wär woll manches anders jeworden.“.


 
 


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen