Dienstag, 18. August 2015

Die Straße, die man nicht geht - Robert Frost

 
Poetry is what gets lost in translation.
Poesie ist, was in der Übersetzung verloren geht.
 
In Amerika ist dies eines der Gedichte, die zu Kalenderweisheiten herunterzitiert worden sind. Großmutter an Enkel, Vater zu Sohn, Poesiealbenkitsch. Schön ist es aber trotzdem. Zwei der Übersetzer haben sich gegen die Reime zu Gunsten der Worte entschieden. Ein Titel gibt schon eine Entscheidung vor, was schade ist, denn das "Was wäre wenn..." braucht Unsicherheit.
 
  
 
THE ROAD NOT TAKEN

Two roads diverged in a yellow wood,
And sorry I could not travel both
And be one traveler, long I stood
And looked down one as far as I could
To where it bent in the undergrowth;

Then took the other, as just as fair,
And having perhaps the better claim,
Because it was grassy and wanted wear;
Though as for that the passing there
Had worn them really about the same,

And both that morning equally lay
In leaves no step had trodden black.
Oh, I kept the first for another day!
Yet knowing how way leads on to way,
I doubted if I should ever come back.

I shall be telling this with a sigh
Somewhere ages and ages hence:
Two roads diverged in a wood, and I –
I took the one less traveled by,
And that has made all the difference.

 
DER UNBEGANGENE WEG

In einem gelben Wald, da lief die Straße auseinander,
und ich, betrübt, daß ich, ein Wandrer bleibend, nicht
die beiden Wege gehen konnte, stand
und sah dem einen nach so weit es ging:
bis dorthin, wo er sich im Unterholz verlor.

Und schlug den andern ein, nicht minder schön als jener,
und schritt damit auf dem vielleicht, der höher galt,
denn er war grasig und er wollt begangen sein,
obgleich, was dies betraf, die dort zu gehen pflegten,
sie beide, den und jenen, gleich begangen hatten.

Und beide lagen sie an jenem Morgen gleicherweise
voll Laubes, das kein Schritt noch schwarzgetreten hatte.
Oh, für ein andermal hob ich mir jenen ersten auf!
Doch wissend, wie’s mit Wegen ist, wie Weg zu Weg führt,
erschien mir zweifelhaft, daß ich je wiederkommen würde.

Dies alles sage ich, mit einem Ach darin, dereinst
und irgendwo nach Jahr und Jahr und Jahr:
Im Wald, da war ein Weg, der Weg lief auseinander,
und ich – ich schlug den einen ein, den weniger begangnen,
und dieses war der ganze Unterschied.
 
Übersetzung von Paul Celan


Was wäre, wenn jede unserer Entscheidungen und alle die, die auch möglich gewesen wären, in unzählig vielen Universen nebeneinander existierten?
 
 
 
DIE VERPASSTE STRASSE

Zwei Straßen gingen ab im gelben Wald,
Und leider konnte ich nicht beide reisen,
Da ich nur einer war; ich stand noch lang
Und sah noch nach, so weit es ging, der einen
Bis sie im Unterholz verschwand;

Und nahm die andre, grad so schön gelegen,
Die vielleicht einen bessern Weg versprach,
Denn grasbewachsen kam sie mir entgegen;
Jedoch, so weit es den Verkehr betraf,
So schienen beide gleichsam ausgetreten,

An jenem Morgen lagen beide da
Mit frischen Blättern, noch nicht schwarz getreten.
Hob mir die eine auf für’n andern Tag!
Doch wusste ich, wie’s meist so geht mit Wegen,
Ob ich je wiederkäm, war zweifelhaft.

Es könnte sein, dass ich dies seufzend sag,
Wenn Jahre und Jahrzehnte fortgeschritten:
Zwei Straßen gingen ab im Wald, und da –
Wählt‘ ich jene, die nicht oft beschritten,
Und das hat allen Unterschied gemacht.

 Übersetzung von Eric Boerner


DER NICHTGEGANGENE WEG
 
Zwei Wege trennten sich im fahlen Wald
und, weil ich nicht auf beiden konnte gehn
und einer bleiben, macht’ ich lange Halt
und schaute auf des einen Wegs Gestalt,
soweit ich durch die Büsche konnte sehn.

Ging dann den andern – der, genauso schön,
den grösser’n Anspruch hatte auf Gebrauch,
denn Gras wuchs drauf und brauchte Drübergehn –
obgleich die Wand’rer, muss ich schon gestehn,
gebrauchten einen wie den andern auch.

Sie lagen vor mir, beide gleich, zuhauf
mit Blättern, die kein Tritt noch aufgestört.
Ich hob mir einen Weg für später auf!
Doch Wege führ’n zu and’rer Wege Lauf:
Ich wußte wohl, dass keiner wiederkehrt.

Und seufzend werd’ ich einmal sicherlich
es dort erzählen, wo die Zeit verweht:
Zwei Waldeswege trennten sich und ich –
ich ging und wählt’ den stilleren für mich –
und das hat all mein Leben umgedreht. 

Übersetzung von Walter A. Aue


Happiness makes up in height for what it lacks in length. 
 Glück macht durch Höhe wett, was ihm an Länge fehlt.
 

3 Kommentare:

  1. Leider, leider bin ich nicht imstande, dem Originaltext nachzuspüren.
    Aber bei den Übertragungen halte ich nur die von Celan für Dichtung. Nachdichtung, ja, sicher, aber eben Dichtung. Das ist mehr als die Übertragung vorgefundener Überlegungen in eine andere Sprache. Er begibt sich in die Gedanken und Gefühle eines Andern, findet darin das Eigene. Bei Celan ahne ich auch seine Zweifel, seine Fragen, seinen Schmerz. Seine Wörter, seine Verse klingen nach.

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  2. "Was wäre, wenn jede unserer Entscheidungen und alle die, die auch möglich gewesen wären, in unzählig vielen Universen nebeneinander existierten?"

    Ein französischer Film (1993, César in 1994) hat das mal zu thematisieren versucht, "Smoking/Non smoking".
    https://de.wikipedia.org/wiki/Smoking_/_No_Smoking
    Siehe auch das Flussdiagramm in türkis hier:
    http://nezumi.dumousseau.free.fr/film/smoking.htm

    Schade, dass man nur ein Leben hat - waere spannend, die Varianten auszuprobieren.

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  3. Lese gerade dazu noch:
    "Als literarische Vorlage diente das Bühnenstück Intimate Exchanges von Alan Ayckbourn." / 1984

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