Samstag, 29. Oktober 2016

Idole sterben

Heute erhielt ich die Nachricht vom Tod Manfred Krugs.

In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts habe ich monatelang meine Familie mit einer Endlossschleife seiner Langspielplatten gequält. "Es war nur ein Moment" und "Ein Hauch von Frühling" dudelten pausenlos auf meinem Plattenspieler, auf Tempo 33. Krugs Stimme war nicht groß, eher zart und hell, vorsichtig, die Texte nachvollziehbar, leicht und hochmusikalisch.


Sergej Klang auf FB: Das was Manne Krug und Günther Fischer in den 70er Jahren gemacht haben, gehört zum Besten, was in der DDR auf Platte erschienen ist. Gerade weil es weder Ostrock, noch Schlager, noch Chanson, noch Jazz ist. Sondern sich gekonnt irgendwo zwischen all diesen Stilen bewegt. Angenehm unzeitgemäß, perfekt arrangiert, immer mit einer Prise Humor geerdet. Chansonesker Soul-Beat-Schlager...

Wenn du schläfst, mein Kind
Schau ich dir in die Träume
Und ich sehe, du träumst davon
Wie schön wir sind
Und ich hüt' mich, dass ich keinen Deut versäume...

ODER
Im wunderschönen Monat Mai
Als alle Knospen sprangen
Da ist in meinem Herzen
Die Liebe aufgegangen!

Im wunderschönen Monat Mai
Als alle Vögel sangen
Da hab' ich ihr gestanden
Mein Sehnen und Verlangen!

Wenn er und sein Musikerkollege Gerd Natschinski sich allerdings, wie bei "Greens", in den Jazz amerikanischer Prägung vorwagten, wurde ihre Musik dünn, harmlos und sehr ddrisch. Wenn man richtig deutsch klingendes Englisch hören möchte, hier bekommt man es zu hören. Er hat auch in "Porgy und Bess" Sporting Life gesungen, keine gute Idee, finde ich.
Dann doch lieber so:
https://www.youtube.com/watch?v=CP49yyQKpkk 

Als Schauspieler war Krug direkt, unverstellt, eher er selbst in Bestform, als eine verfremdete Figur. Der DEFA-Film "Spur der Steine" wurde durch Verbot zum ungesehenen Geheimtipp, ich hab bis heute nur Ausschnitte gesehen, die allerdings kräftig und nach DDR-Maßstab realistisch wirken.

Nun ist er tot. Und David Bowie ist es auch. Und Edward Albee. Und Bud Spencer. Und, oh Gott, Götz George. Und Muhammad Ali. Und Prince. Und Genscher und Westerwelle. Und Sinatra, unvorstellbar. Und Peter Lustig, Willemsen, Genscher und Alan Rickman, der Besitzer der schönsten vorstellbaren Stimme. Sie alle und viele mehr starben im Jahr 2016. 

Im allgemeinen Sprachgebrauch werden häufig Personen, denen große oder übertriebene Bewunderung entgegengebracht wird, als Idole bezeichnet, sagt Wiki.

Um mich herum sterben Menschen, die an bestimmten Punkten meines Lebens für mich wichtig waren. Idole? Idol ist ein bedrückendes Wort, man lastet dem anderen ein zu großes Gewicht auf, also nenne ich es lieber hilfreiche Streckenbegleiter. Und sie sterben. Das heißt, ich bin alt geworden. 58 Jahre alt. Darum bemerke ich heute heftiger, wenn jemand stirbt, der mir auf meinem Weg begegnet ist. "Die Einschläge kommen näher", eine Platitüde, aber nicht unwahr. 
Wenn in der Umgebung meiner Magdeburger Oma jemand starb, berichtete sie davon immer mit einer gewissen Schadenfreude. Aber vielleicht war sie auch nur froh, dass der "Krug" noch einmal an ihr vorbei gegangen war?

Leider bin ich gänzlich unfähig, an jegliches Leben nach dem Tod zu glauben, aber trotzdem ist die Vorstellung von feuchtfröhlichen, mitternächtlichen Feiern auf gewissen Friedhöfen tröstlich. Mein Vater und Heiner Müller und Hegel und alle möglichen "Bewohner" des Dorotheenstädtischen Friedhofes mit Whiskey und Zigarre, meine Mutter auf der Suche nach einer Wärmflasche. Sie hätte heute ihren 86. Geburtstag gefeiert. Himbeerrolle, Apfelhaferflocken-Kuchen und Quarkkuchen mit Aprikosen hätte es gegeben. Und noch viele andere Kuchen und Torten. 
Und wenn man drei Stück Kuchen gegessen hatte, fragte sie besorgt, ob die anderen, einem vielleicht nicht geschmeckt hätten. Jüdische Mütter und ihre Obsession mit Esswaren. Ich hab meiner Mutter mal vorgeworfen, dass wir nie ein längeres Gespräch führen konnten, weil sie immer dafür sorgte, dass ich einen vollen Mund hatte. 

Everybody wants to go to heaven, but nobody wants to die.

 
FOCUS - ONLINE

Kein Fluch – sondern Statistik

Warum ist das so? Glaubt man dem bei der BBC für Nachrufe zuständigen Redakteur Nick Serpell, ist dafür kein Promi-Fluch verantwortlich – sondern bloße Statistik. Vor allem die Unterhaltungsbranche erlebte einen Boom in den 1960ern, das Fernsehen etablierte sich in den Haushalten und brachte zahlreiche neue Stars hervor. Auch das Musikgeschäft verankerte sich ab den späten 1950er Jahren endgültig in der Populärkultur und erzeugte Dutzende neuer Idole.
Ab den 1960ern gab es also viel mehr Stars als zuvor, und wir schreiten in eine Phase, in der die Promis aus den 1960ern und 1970ern langsam alt werden – und sterben. Hinzu kommen noch Berühmtheiten aus den späteren Jahrzehnten, die unerwartet früh von uns gehen - wie Prince. Auch von diesen existieren mehr als früher.

Folge des Bevölkerungswachstums

Die Expansion der Unterhaltungsindustrie hat auch mit einem generellen Bevölkerungswachstum zu tun. Ab 1946 explodierte die Geburtenzahl in den westlichen Industriestaaten. 1965 kamen in Deutschland 1,3 Millionen Babys auf die Welt – ein absoluter Höchstwert der Nachkriegszeit und der Zenit des Geburtentrends.
In den USA gehören 23 Prozent der Bevölkerung zur sogenannten „Baby Boomer“-Generation der zwischen 1946 und 1964 geborenen Menschen. Unter den Promis befindet sich daher ebenfalls eine überdurchschnittlich große Anzahl „Baby Boomer“ – die jetzt langsam in ein hohes Alter kommen. Damit steigt leider auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich Fans von einigen ihrer Stars verabschieden werden müssen.

Aufmerksamkeit durch Twitter und Co.

Zu guter Letzt kommt auch den sozialen Medien eine große Rolle zu: Denn das Internet senkte die Schwelle, die es braucht, um als prominent zu gelten. Todesfälle wie den der amerikanischen Wrestlerin und Porno-Darstellerin Cyna hätten in Deutschland vor zehn Jahren nur eingeweihte Zirkel mitbekommen. Heute verbreiten sich auch Todesfälle von Persönlichkeiten aus Randnischen in rasender Geschwindigkeit.
Die gute Nachricht ist also: Dass es mehr prominente Todesfälle zu geben scheint als früher, hat nichts mit einem "Schicksalsjahr" oder einem "Prominentenfluch" zu tun, sondern es gibt eine natürliche Erklärung. Die schlechte Nachricht allerdings: Der Trend wird sich in den kommenden Jahren eher noch verstärken. Die BBC hat bereits reagiert. Der traditionelle 30-minütige Jahresrückblick auf verstorbene Prominente wird in diesem Dezember erstmals auf eine ganze Stunde verlängert.

2 Kommentare:

  1. Schöner Text. Schönes Beieinander von Wehmut und Nachdenklichkeit und Sachlichkeit.

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  2. Ja.
    Und in Gesprächen mit Freunden werden die Themen Alter/Krankheit/Tod/Sterben auch immer präsenter.
    Gut, schlecht, normal?!

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