Donnerstag, 10. November 2016

3 Tage im November

Drei Tage Paris - Montagmittags bis Donnerstags am Vormittag. 

Charles De Gaulle, der Flughafen ist häßlich, grau, unübersichtlich, Orly viel angenehmer. 
Die Stadt ist sich gleich und anders. Junge schwarzgekleidete Uniformierte mit geladenen Maschinenpistolen im Anschlag stehen, lustig schwatzend vor der Comédie-Française, beim Verlassen der Metro wird meine Tasche geprüft, an Schuleingängen hängen Zettel mit Terrorwarnungen, die Hotels klagen über fehlende ausländische Gäste.

Sofort nach meiner Ankunft Besuch einer Ausstellung in der ehemaligen Oberschule von Patrice Chéreau. Alte Männer schwärmen von ihren wilden Sechzigern, nicht dem sechzigsten Jahrzehnt ihres Lebens, sondern den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts, das kenne ich doch irgendwoher? Altachtundsechziger nerven. Ich bin ein Altachtundsiebziger. 
Aber die Photos zeigen junges Theater, irgendwo zwischen Brecht, RAF und Moliere. Seine Arbeiten kenne ich leider nur von Aufzeichnungen, und natürlich seine Filme. Schade.
Noch heute sind diese Schulen, Kaderschmieden der Elite Frankreichs, eines adelsfreien Klassensystems.

An diesem ersten Abend in der Comédie-Française "Die Verdammten" nach dem Drehbuch von Lucino Viscontis Film in der Regie von Ivo van Hove.

https://www.youtube.com/watch?v=MFRZZ2k2iGk

Ich hatte so Vieles, ausschließlich Begeistertes, über den Regisseur gehört und war froh, eine der schwer umkämpften Karten zu bekommen. Meine Freundin liebt das Namedropping und so verhalf der Name meines Ahnen zu zwei Freikarten. Warum nur? Ist mir noch neu.
Ein belgischer Regisseur inszeniert einen italienischen Text über den Untergang einer deutschen Industrialistenfamilie während der Nazizeit mit französischen Schauspielern im Frankreich von heute. Die Europäische Union als realer Theatervorgang.
Er ist ein toller Handwerker. Video, Soundscape, Arrangements, choreographierte Umbauten, das Spiel hinter der Bühne und auf ihr verflochten, verwoben - perfekt. Die Spieler sind tief versunken in ihren Figuren, solch psychologisch bestimmtes Theater habe ich lang nicht mehr gesehen. Die Umbauenden, ganz in schwarz, funktionieren perfekt und werden doch nie Teil der Geschichte.
Wenn der SA-Sohn mit seinem Liebhaber bayrische Tänze tanzt und auf der Leinwand synchron viele, viele, andere Männer mittanzen wird es großes Theater. Schüsse fallen, Schnitt, Blutlachen sind zu sehen, während auf der Bühne immer noch zwei nunmehr nackte Männer tanzen. Der Röhm-Putsch gänzlich überhöht. 
Keine Minute ist langweilig und doch, scheint mir, als sei der Regisseur der erotischen Faszination der Dekadenz, die bei Visconti immer von gefährlicher Wut begleitet wird, letztendlich unterlegen. Zu schön sind die Untaten, zu leidend die Täter. Was will er mir erzählen? Unverschämte und doch erlaubte Frage. Es bleibt die große Form. 
Was ist es, das Lust an Destruktion so anziehend macht? Katholizisismus? Homoerotsche Männergemeinschaft?

Einen Tag später: im Centre Pompidou eine Magritte-Ausstellung: La trahison des images - Der Hochverrat der Bilder. Was für ein großer Maler und was für eine pädagogisch gutgemeinte öde Ausstellung. Die Bilder kämpfen geradezu gegen die detaillierten Erklärungsversuche. Alles ist logisch, philosophisch nachvollziehbar und biographisch abgesichert. Die Bilder siegen, aber nur knapp.


Das Rote Modell 1935

Am 9. November 2016 gewinnt Donald Trump die Wahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, kurz der USA. Am 9. November, für uns Deutsche eh schon ein vollbeladenes Datum. Mir ist schlecht. Ich begreife wieder einmal wie kurzsichtig meine politischen Hoffnungen sind. 1989 habe ich nicht mit der Wiedervereinigung gerechnet und jetzt nicht mit der Kraft des vollendeten, schamlosen Populismus. 50 Prozent der amerikanischen Bevölkerung sind nicht zur Wahl gegangen. 50 Prozent. Wie entsteht solche schreckliches Desinteresse? Er will eine Mauer, eine Mauer!, ich bin ostdeutsch und mauergeprägt, eine Mauer Richtung Mexiko bauen, er will, dass Mexiko diese Mauer bezahlt, und doch wählen ihn 23 % der mexikanischen Bevölkerung der USA? Was ist das? Er ist Isolationist und Protektionist, oder einfach nur jemand, der immer das sagt, was gehört werden will. Er ist unberechenbar und bald im Besitz der atomaren Codes, Herr des roten Knopfes, der unser aller Leben auslöschen kann.

http://www.independent.co.uk/news/world/americas/us-elections/donald-trump-refuses-to-rule-out-using-nuclear-weapons-in-attack-on-europe-a6961101.html 

Und dann, gestern Abend, nach Einkaufstour und sehr französischem Mittagessen, ein Besuch in der Cartoucherie der großen Arianne Mnouchkine - eine lange U-Bahnfahrt, dann ein Bus, Ankunft in der ehemaligen Munitionsfabrik, die Mnouchkine und unzählige Mitarbeiter in ein Theater verwandelt haben, in dem sie leben und arbeiten. Weil ich dieses Modell so liebe, fällt es mir schwer, zu sagen, das der Abend, eine erste Vorführung vor zahlendem Publikum, die Premiere ist erst in zwei oder drei Wochen, gräßlich kitschig und verharmlosend war. 

Drei Tage Paris und die Welt ist eine andere.

5 Kommentare:

  1. Desillusion paßt in diesen November. Aber es kommt auch ein Mai. SES

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  2. Ende Februar haben wir, Du und ich, uns in Konstanz getroffen um die Welt und alles übrige bei einem leckeren Abendessen zu besprechen.
    Ich hab‘ damals gesagt, dass ich mir Trump als Kandidaten der Republikaner wünsche.
    Weil Clinton unbeliebt ist, weil sie es sonst vielleicht nicht schafft.
    Du hast mich sehr entsetzt angesehen.
    Und ich habe gesagt, dass ich den Amerikanern viel zutraue... aber DAS... Trump wählen... das würden selbst sie nicht machen.
    Und Du hast gesagt „Na hoffentlich!“ und Du warst nicht wirklich überzeugt.

    Das war ein weises Gefühl von Dir. Ich hab‘ mich geirrt. Dabei bin ich nicht mal jemand, der sonderlich auf die Vernunft der Menschen setzt... ich traue ihnen Mist und Blödsinn zu... aber so viel Hass und blinde Dummheit hätte ich nie erwartet... ich hab‘ mich so geirrt.
    Ich bin gar nicht so unbegabt mit Fantasie, aber was jetzt passiert ist übersteigt meine Vorstellungskraft, wie mein Verständnis.
    Von allen Stimmen haben 42% aller Frauen und 29% aller Latinos für Trump gestimmt... wer soll das verstehen? Ich nicht.
    So sehr geirrt...

    Und ich weiß nicht einmal, wann sich ein demokratisches Geschehen in mir jemals so falsch angefühlt hat. Ich glaube noch nie. Ich kann mich an nichts vergleichbares erinnern.

    Und wenn ich irgendetwas, einen Rest nützliches finden will... dann muss ich Ernst Reuter frei zitieren.
    „Ihr Völker der Welt... schaut auf dieses Land...“ - und dann lasst es. Frankreich, Österreich, Deutschland, ihr wählt demnächst... lasst es! Macht es besser...

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  3. Es ist nicht schlechter geworden. Einen Schleier wird gelüftet. Wir müssen aneinander festhalten und diese Schleier weiter lüften. Die heute verlogene Berichte nicht mehr trauen, werden morgen es besser wissen, als jene die glauben gewonnen zu haben. Entschuldige die Sprachfehler, bitte.

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  4. Ich habe letzte Woche in der Cartoucherie / Théâtre du Soleil eine Abendvorstellung von Ariane Mnouchkines "Une chambre en Inde" gesehen, und bin sehr froh darüber - so schön lebendiges Theater!

    Unde eine Reise nach Indien, schon vom Eingang mit den indischen Polizisten zur Taschenkontrolle an, wo dann Ariane herself die Tickets kontrolliert und einen persönlich begrüsst.

    Indisches Essen, ein bunt indisch dekorierter Saal, Gerüche, das Zuschauen bei der Maske - gute Tradition des Soleil.

    Und dann geht es los mit dem "Stück": die Suche nach der Rolle des Theaters heute, der Aufgabe der Regisseure und Theaterautoren in dieser Welt, ihrer Zweifel, dazu viele Geschichten in der Geschichte, aktuell, sehr bunt, manchmal traurig und mit vielen kreativen Ideen.
    Kultig z.B. die Gegenüberstellung der Saudis und der Islaender per Video.
    Bunte Masken, schöne Kostüme, ca 25 sehr lebendige multifunktionelle Schauspieler, Deklamation und Sprache, Musik (von Jean-Jacques Lemêtre und 2 anderen Musikern gespielt), Tanz, indische Theater-Tradition, viele wichtige Fragen und ein paar Antworten - ich habe die 4h genossen und bin mit einer trotz aller schwierigen Gegenwart fröhlichen, leicht theater-optimistischen Stimmung wieder in die Navette gestiegen.

    Nur ein bisschen zuviel Geschrei für meine Ohren von "Cornelia", das waere meine einzige Kritik.

    Immer noch eine Reise in den Bois de Vincennes wert!
    Ariane, bitte bleibe uns noch lange erhalten.

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