Donnerstag, 26. Oktober 2017

Ein feiner Abend

TALENT IST INTERESSE.  
b.b. zugeschrieben

Meist treibt es mich Dreiviertel des Jahres durch die Lande und wenn ich mal in Berlin bin, will ich meine Freunde sehen, meine Wohnung bewohnen, Rezepte ausprobieren und Kultur fressen. Aber Premieren und ähnliches meide ich und bin deshalb, was den sozialen Teil der Berliner Theaterszene betrifft, mittlerweile völlig raus.
Aber heute Abend hat ein Freund ein großes Buch- und Ausstellungsprojekt in der Akademie der Künste vorgestellt und ich hatte durch ihn einen wirklich feinen Abend.
Spannende Reden, man stelle sich das vor, eine kluge Lesung, nicht so schöne Musik, eine faszinierende Ausstellung, die ich mir, wenn sie dann nicht so überlaufen ist, nocheinmal ansehen werde. 
Und danach. Danach Leute wiedersehen, die ich Ewigkeiten, große und kleine, nicht getroffen habe. 
Ein langer Plausch mit Christa & B.K. Tragelehn. Wichtigste DDR-Theatergeschichte in wunderbaren, minimalistischen Anekdoten, angereichert mit den Namen aller Idole meiner kindlichen Theaterbegeisterung. Sie unterbrechen, korrigieren & ergänzen einander - ein Ehepaar erzählt einen Witz mit mehr als einer Pointe. 
Dieter Schütt befragt ihn glücklicherweise schon, denn solch ein Schatz an Wissen und Erfahrung darf nicht verloren gehen. 
Wiki schreibt: Tragelehn war von 1955 bis 1958 Meisterschüler an der Akademie der Künste in Berlin(Ost) bei Bertolt Brecht und Erich Engel, danach war er meist freischaffend als Schriftsteller und Regisseur in Berlin tätig. Er arbeitete an der Studentenbühne der Hochschule für Ökonomie Berlin-Karlshorst und inszenierte das Stück Die Korrektur von Heiner Müller. Im September 1961, einen Monat nach dem Bau der Berliner Mauer, löste die Inszenierung der Uraufführung von Heiner Müllers Stück Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande einen kulturpolitischen Skandal aus. Stück und Aufführung wurden für konterrevolutionär erklärt; Die Umsiedlerin konnte in der DDR bis 1976 nicht aufgeführt werden. Tragelehn wurde aus der SED ausgeschlossen, vom Senftenberger Theater fristlos entlassen und zur Bewährung in der Produktion in einen Braunkohlentagebau in der Niederlausitz geschickt. Nach Intervention von Paul Dessau durfte er ab 1964 wieder als Regisseur arbeiten.

Christa erzählte dann, dass sie, während Tragelehn im Bergbau strafarbeiten mußte, zur Universität gelaufen ist, weil das Geld für die Straßenbahn nicht reichte. Die beiden sind seit 57 Jahren und durch vier Kinder verbunden. Das ist einen gewaltigen Tusch wert!
14 war ich, als Tragelehn mit Einar Schleef beschloß, am BE Frühlingserwachen mit Schülern Berliner Schulen zu machen. 24 als ich in einer Inszenierung von Christas Übersetzung von Oscar Wildes "Von der Wichtigkeit Ernst zu sein" umbesetzt wurde, weil mein Humor mit dem Humor des Regisseurs inkompatibel und mein Gesicht, nach Aussage des Regisseurs, wegen Mangel an Mimik für den Beruf des Schauspielers sowieso ungeeignet sei. Auf dem Heimweg habe ich mir lustvoll vorgestellt, wie ich ihn mit meinem Brotmesser ersteche. Jahre später hat er sich bei mir entschuldigt und wir wurden liebevolle Freunde.
Ich hatte, habe, ein interessantes Leben. Ich werde ein interessantes Leben haben.

Benjamin und Brecht.
Denken in Extremen

Unter Brechts Einfluss treibt Benjamin nur dumme Dinge.
Theodor W. Adorno

Akademie Der Künste Hanseatenweg 10
Di – So, 11 – 19 Uhr 
€ 9/6
Bis 18 Jahre und dienstags ab 15 Uhr Eintritt frei


 Bertolt Brecht und Walter Benjamin spielen Schach, 1934, Skovsbostrand/Dänemark, 
Foto: unbekannt © Akademie der Künste, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv 

An Walter Benjamin der sich auf der Flucht vor Hitler entleibte

Ermattungstaktik war’s, was dir behagte
Am Schachtisch sitzend in des Birnbaum Schatten
Der Feind, der dich von deinen Büchern jagte
Lässt sich von unsereinem nicht ermatten.

b.b.

1 Kommentar:

  1. Liebe Johanna, Danke für die nötige Erinnerung an B.K. Tragelehn. Damals galt das Denken im Theater noch als angebracht.

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